13.10.2017 -
Die Inseln Samos, Delos und Levitha hatte der Sagenheld Ikarus bereits hinter sich gelassen. Er wollte höher hinaus mit seinen Flügeln, die aus Vogelfedern und Kerzenwachs gefertigt waren. Sein Vater Dädalus, mit ihm durch den griechischen Himmel unterwegs, warnte: nicht zu hoch, nicht zur Sonne, das Wachs der Flügel schmilzt. Vielleicht konnte Sohnemann Ikarus ihn nicht hören, vielleicht wollte er nicht. Es geschah, was geschehen musste. Er wollte hoch hinaus und kam der Sonnenglut zu nahe. Die Flügel fielen auseinander. Ikarus stürzte ins Meer.
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13.10.2017 -
Die Inseln Samos, Delos und Levitha hatte der Sagenheld Ikarus bereits hinter sich gelassen. Er wollte höher hinaus mit seinen Flügeln, die aus Vogelfedern und Kerzenwachs gefertigt waren. Sein Vater Dädalus, mit ihm durch den griechischen Himmel unterwegs, warnte: nicht zu hoch, nicht zur Sonne, das Wachs der Flügel schmilzt. Vielleicht konnte Sohnemann Ikarus ihn nicht hören, vielleicht wollte er nicht. Es geschah, was geschehen musste. Er wollte hoch hinaus und kam der Sonnenglut zu nahe. Die Flügel fielen auseinander. Ikarus stürzte ins Meer.
Ikarus befindet sich bis heute in vielköpfiger Gesellschaft. Heiner Brand beispielsweise, der ehemalige Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft zählt dazu. Der Mann mit dem Walrossbart führte die Mannschaft 2007 zum Weltmeistertitel. Doch der Lichtgestalt des deutschen Handballs, ein Teamführer, der zu Höchstleistung motiviert, blieb der Erfolg nicht treu. Kürzlich erlebte seine Mannschaft zur Weltmeisterschaft ihr „Waterloo“. Hätte Heiner Brand auf der Höhe seines Erfolgs doch eine Auszeit genommen, jammert mancher Sportfan. Oder wäre er nach dem Weltmeistertitel, im Zenit seines Trainerlebens, ruhmvoll abgetreten – als ewiger Held im Olymp des Sporthimmels. Möglicherweise macht es Jupp Heynckes besser, der am 1. Juni 2013, mit dem Triple im Vereinsfußball, d. h. mit den Gewinnen von DFB-Pokal, Deutscher Meisterschaft und Champions League, neue Maßstäbe gesetzt hat.
Mitunter geht jedem von uns mal der Blick dafür ab, wann wir die maximale Flughöhe erreicht haben. Der Ikarus von heute will immer neue, schwierigere Projekte stemmen, größere Herausforderungen meistern und von Triumph zu Triumph eilen. Früher oder später verbrennen die meisten, erleben ein Fiasko wie einst Feldherr Napoleon bei Waterloo. Ein Krug, sagt man, geht zum Brunnen bis er bricht. Danach bleibt er als Scherbenhaufen in Erinnerung.
Heute hat man schnell das Schlagwort „Burn-out“ bei der Hand. Im Januar 2011 wählte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ das Thema Erschöpfungsdepression als Aufmacher und gab somit dem Burn-out den Ritterschlag zum Trendthema. Das Magazin lieferte gleich auch prominente Beispiele für ausgebrannte Menschen: Matthias Platzeck beispielsweise trat wegen des Burn-outs vom Amt des SPD-Bundesvorsitzenden zurück. Später dann, im Jahr 2013, legte er nach einem leichten Schlaganfall auch sein Amt als Ministerpräsident des Bundeslandes Brandenburg nieder. Sven Hannawald beendete 2005 seine Skispringer-Karriere. Fernsehkoch Tim Mälzer fühlte sich, als wären „die Stromkabel durchgeschnitten“.
In der Tat kann die Arbeit Körper, Geist und Seele auszehren. Kooperationsenge, Unsicherheit und Zeitdruck – dies kann durchaus die gefürchteten Erschöpfungsdepressionen nähren. Mancher Ikarus von heute betrachtet sich als Maschine, die seinem Ehrgeiz zu Diensten stehen soll. Indes: Nicht jedem geht die Kraft aus, wenn er von Erfolg zu Erfolg stürmt. Und genau genommen war auch Sagenheld Ikarus auf dem Weg zur Sonne nicht flügellahm geworden. In das abrupte Scheitern spielen noch andere, subtilere Gründe hinein.
Hinweise gibt Hans A. Wüthrich, der sich als Wissenschaftler mit erfolgreichen Managern befasst, denen es zur Gewohnheit geworden ist, von Zeit zu Zeit das eigene Führungsverhalten in Frage zu stellen und eingefahrene Arbeitsmuster zu durchbrechen. So unterschiedlich diese Manager-Persönlichkeiten sind – gemeinsam ist ihnen die Fähigkeit der Reflexion. Sie nehmen immer wieder Abstand von ihrer Arbeitswelt. Sie besinnen sich und begeben sich auf die Suche nach neuen Wegen zu ihren Zielen. „Was heute zu vielen teuren Fehlern im Geschäftsleben führt, ist zu schnelles, eruptives und aktionistisches Handeln“, erklärt er. Wer besinnungslos unter hohem Druck arbeitet, greift oft reflexhaft auf eingeschliffene Verhaltensmuster zurück. „Man sucht nicht mehr nach passenden Lösungen, sondern reproduziert blind Bekanntes“. Danke, die Warnung ist bei mir angekommen! Zweifellos, solch ein Verhalten ist pures Gift für mich.
Eine persönliche Strategie des Innehaltens, Auszeit-Nehmens und Reflektierens hätte wohl auch Ikarus, den gefallenen Flieger, retten können. Er hätte erkannt, dass er für seine Höhenflüge andere Flügel braucht. Oder dass er die Sonne schlichtweg nicht zu erreichen vermag. Wie auch immer, Ikarus wäre mit ein wenig Selbstbesinnung vielleicht als erster Himmelsstürmer in die Sagenwelt eingegangen – und nicht als ihr erster Bruchpilot.
Dies ist ein Auszug aus dem Buch "Der ProjektManager und Fräulein Sophie", von Dr. Roland Ottmann.
Das Buch können Sie hier käuflich erwerben.
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