13.03.2018 -
Buchauszug: Seit eineinhalb Stunden bin ich auf der Autobahn unterwegs zu meinem Büro. Mir gehen die Arbeitsschritte durch den Kopf. Ich muss den Kofferraum leer räumen und die Sachen, die ich die nächste Zeit nicht brauche, aufräumen. Dann muss ich die Technik und die Seminarunterlagen für die Seminare der kommenden Woche einladen. Ich gehe alles genau durch, um möglichst schnell fertig zu werden.
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13.03.2018 -
Seit eineinhalb Stunden bin ich auf der Autobahn unterwegs zu meinem Büro. Mir gehen die Arbeitsschritte durch den Kopf. Ich muss den Kofferraum leer räumen und die Sachen, die ich die nächste Zeit nicht brauche, aufräumen. Dann muss ich die Technik und die Seminarunterlagen für die Seminare der kommenden Woche einladen. Ich gehe alles genau durch, um möglichst schnell fertig zu werden.
Ich habe eine anstrengende Woche hinter mir, gerade bin ich in Frankfurt gelandet, habe mein Auto geholt, bei McDonalds eine Kleinigkeit gegessen, um dann über einen kurzen Zwischenstopp bei mir zuhause weiter nach Graz zu fahren. Ich sehe auf mein Navi und so wie es aussieht, werde ich an diesem Samstag gegen 21:45 Uhr im Büro sein. Noch ca. 20 Minuten, dann habe ich es geschafft.
Seit 15 Minuten regnet es, nicht besonders stark, so dass ich mit 120 km/h meines Erachtens nicht zu schnell bin. Doch was ist das? Mein Auto kommt in Spurrillen und schwimmt auf einmal auf einem Wasserfilm. Vor vielen Jahren kam ich mit dem Auto auf Glatteis und das war ein vergleichbares Gefühl. Mein Auto verliert die Bodenhaftung und beginnt sich nach rechts in die Richtung der Fahrbahnböschung zu bewegen. Ich bekomme noch mit, dass es einen dumpfen Schlag gibt, dann nichts mehr.
Ich schmecke Blut, fühle einen stechenden Schmerz im Gesicht, kann auf dem linken Auge nur noch verschwommen sehen, und jetzt sehe ich die Blaulichter des Notarztwagens. Der Notarzt springt aus dem Einsatzwagen und kommt auf mich zu. Ab jetzt läuft alles wie im Film ab. Erstversorgung und Herstellung meiner Transportfähigkeit, Aufnahme der Personalien und Fahrt mit Blaulicht und Martinshorn in das Universitätsklinikum nach Erlangen. Mein Aquaplaning-Unfall hätte mir um Haaresbreite das Leben gekostet. Jetzt auf der Fahrt ins Krankenhaus wird mir das sehr klar vor Augen geführt. Heute habe ich meinen zweiten Geburtstag, ich lebe noch!
Doch was bedeutet das für mich? Mir gehen in den kommenden Stunden und Tagen viele Dinge durch den Kopf. Ich mache mir Gedanken zum geschenkten, zweiten Lebensabschnitt, zum Leben an und für sich. Ich hatte einen Schutzengel in dieser Nacht, das ist mir klar. Das absolut Wesentliche, der für mich größte Erkenntnisgewinn, hat in Bezug auf mein, unser aller Leben, mit dem Faktor Zeit zu tun. Randy Pausch sagt es sehr treffend: „Zeit ist alles, was wir haben. Und es wird der Tag kommen, an dem ich erkenne, dass ich weniger Zeit habe, als ich denke.“ Ich würde gern ergänzen: „… und als ich mir wünsche“. Unser Leben ist davon bestimmt, dass wir vieles nicht wissen (unerwartete Spurrillen, angefüllt mit Wasser eines Regenschauers), überblicken (nicht nachvollziehbare Schritte der Hilfeleistung am Unfallort), oder kontrollieren können (administrative Prozesse bei der Patientenaufnahme in die Unfallklinik und der Ablauf eines hochkomplexen Untersuchungsprogramms). Oft sind wir einfach ein Stück Treibgut in einem riesigen Ozean. Was haben wir dann für ein Glück, an der richtigen Stelle an Land gespült zu werden. Am Ende haben wir ein wenig Zeit gewonnen, die wir nutzen können, um ein glückliches und gelungenes Leben zu führen. Wenn wir dann sagen können, wir hatten ein gutes Leben, dann ist das etwas von Wert.
Es drängt sich mir die Frage auf, ob ich bei meinem Ende das Bedürfnis haben werde, zu sagen: „Eigentlich hätte ich mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen, mehr Wein trinken und exzessiver Zigaretten rauchen sollen?“ Ich hoffe nicht. Das Leben, das uns geschenkt wurde, ist kostbar, großartig und es macht Spaß, es in vollen Zügen zu genießen.
Doch wofür lebe ich eigentlich? Viele Menschen leben dafür, schöpferisch tätig zu sein und etwas zu erschaffen. Sie arbeiten und engagieren sich, um ein Bauwerk, ein Fahrzeug, ein Buch, ein Gedicht, ein Lied, einen Film und vieles andere mehr zu schaffen, eine Akademie, ein Unternehmen, eine christliche Gemeinde oder eine Familie aufzubauen. Sie schaffen etwas und wollen stolz auf ihre Leistung und ihr Werk sein.
Dafür leben sie, dafür setzen sie sich ein. Der Eine erreicht etwas mehr, der Andere etwas weniger. Doch was wäre, wenn wir dazu noch einige Dinge im Leben beachten würden? Könnten wir denn womöglich mehr erreichen, ein größeres Werk vollbringen? Eine alte chinesische Weisheit besagt: „Wir können zwar nicht die Länge unseres Lebensflusses festlegen und bestimmen, wann und wo er endet – aber wir entscheiden, wie tief und wie breit er wird.“
Dies ist ein Auszug aus dem Buch "Der ProjektManager und Fräulein Sophie", das bald in neuer Auflage erscheint.
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