18.07.2018 -
...Ich nehme Urkunden und Bilder von der Wand und lege sie zu den anderen Dingen in die Schatztruhe meiner Erfahrungen. Auch hier gilt es Freiräume zu schaffen – ich erreiche viel, wenn ich nur will. Auch hier kommen mir die Gedanken an Menschen, die mich ausgetrickst und auch mal über den Tisch gezogen haben, veräppelt und damit gestresst haben. Doch ab sofort soll gelten: Wer mich ärgern darf, bestimme ich selbst! Ich denke an Menschen, die ich mag und bereite mir damit eine große Freude. Mir kommen neue Gedanken während ich am Ordnen bin. Viel zu oft habe ich mich entschuldigt und gesagt, dass ich nicht kann – wo ich eigentlich gekonnt hätte, aber nicht wollte.
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18.07.2018 -
Dies ist Teil 2 von 2 eines Kapitels aus dem Buch "Der nackte Projektmanager und Fräulein Sophie". Sie haben Teil 1 verpasst? Diesen können Sie hier nachlesen.
Ich nehme Urkunden und Bilder von der Wand und lege sie zu den anderen Dingen in die Schatztruhe meiner Erfahrungen. Auch hier gilt es Freiräume zu schaffen – ich erreiche viel, wenn ich nur will. Auch hier kommen mir die Gedanken an Menschen, die mich ausgetrickst und auch mal über den Tisch gezogen haben, veräppelt und damit gestresst haben. Doch ab sofort soll gelten: Wer mich ärgern darf, bestimme ich selbst! Ich denke an Menschen, die ich mag und bereite mir damit eine große Freude. Mir kommen neue Gedanken während ich am Ordnen bin. Viel zu oft habe ich mich entschuldigt und gesagt, dass ich nicht kann – wo ich eigentlich gekonnt hätte, aber nicht wollte. Viel zu oft habe ich mir gesagt, ich sollte dies und jenes tun und machen, wo ich eigentlich besser gesagt hätte, ich könnte dieses und jenes tun. Oft habe ich mich behindert, weil ich mir sagte, das kann ich nicht. Ich hätte mich nach vorne gebracht, wenn ich gesagt hätte „ich kann“. Ich bin vielen Dingen hinterhergejagt ohne sie zu bekommen. Hätte ich doch die Weisheit der Tibeter verinnerlicht, die ich auf einer alten Karte mit zwei witzigen Figuren darauf, gerade lese: „Was ich jage, das flieht vor mir und was ich loslasse, das folgt mir nach.“
Ja, es stimmt schon, ich lebe, liebe und arbeite immer mit Leidenschaft. Anstrengungen stehen für mich immer in Zusammenhang mit Disziplin, Fleiß, Bemühen, Konzentration und Lernen. Aber wo sind die Freiräume? Die Zeiten der Entspannung? Muss ich zweimal den Mount Everest besteigen? Oh, was bin ich für ein pflichtbewusster Mensch. Ich habe die Pflicht gegen mich selbst als die Grundvoraussetzung der Moral und Ethik gesehen. Immanuel Kant sagte: „Wer die Pflicht gegen sich selbst übertrifft, der wirft die Menschheit weg und dann ist er nicht mehr im Stande, Pflichten gegen andere auszuüben.“ Wie oft habe ich mich selbst unterdrückt? Pflicht mit Unterdrückung gleichgesetzt? Wäre es nicht gut gewesen, Pflicht mit Verantwortung gleichzusetzen? Die Verantwortung gegenüber sich selbst dabei eingeschlossen. Was hat mich da wohl in der Vergangenheit blockiert? Waren es am Ende Affekte und Egoismen? Wollte ich immer anderen gefallen, um am Ende besser, schöner, größer zu sein? Freiwillig seinen Pflichten zu folgen, das ist der Sinn des Lebens. Das schließt aber die Pflicht sich selbst gegenüber ein. Ich muss mich wohlfühlen und dafür muss ich etwas tun!
Arbeit und Freizeit, beides muss ich zukünftig beachten und das, was John Steinbeck dazu zum Besten gibt: „Die Kunst des Ausruhens ist Teil der Kunst des Arbeitens.“ Was das für mich bedeutet? Ich, das Arbeitstier! Für mich belebt Arbeit den Geist und durch Arbeit fühle ich mich nützlich. Ich will nicht nutzlos sein! Für mich ist jede Arbeit würdig, ob das Reinigen des Rettungswagens nach einem heftigen Notfalleinsatz, das Wegschaufeln von Schutt beim Ferieneinsatz auf der Festungsruine Rothenberg oder das Erstellen einer Power-Point-Präsentation für ein neues Seminar. Wer alles erreichen will, muss alles geben! Typisch deutsch, nicht wahr? Ja, aber was soll ich machen, schließlich bin ich Deutscher. Mein Freund Wolfgang schüttelt bei Gesprächen mit mir immer wieder den Kopf, „Tanz doch mal aus der Reihe, dann hast du mehr vom Leben!“ „Wie, lieber Wolfgang?“ „Lerne doch von den Südländern! Die sagen sich: „Wir haben das Haus voll Schulden, eine gewaltige Arbeitslosigkeit, aber das Leben ist zu kurz um sich nicht mit gutem Essen und einem Tanz am Abend die Tage schön zu machen – oder lass uns einfach nichts machen. Il dolce far niente – das süße Nichtstun, wie der Italiener sagt. Stell dir doch einfach mal die Frage, wann du dich so richtig wohl fühlst. Und sag jetzt bitte nicht bei deiner Arbeit!“. Ich muss nachdenken: „Wenn ich etwas für mich und meinen Körper machen kann, d. h. Sport oder Musik machen, saunieren etc. Wenn ich gute Gespräche mit netten und interessanten Menschen führen kann. Wenn ich ein gutes Buch lesen oder einen tollen Film sehen kann, eine Oper von Verdi oder ein Musical von Lloyd-Webber. Grillen macht mir Spaß und ein Kurzurlaub. Ich glaube, das waren meine wesentlichen Wohlfühl-Bereiche“.
Vollständig ist meine Auflistung nicht, aber die Liste hilft mir doch ein gutes Stück weiter, kann ich doch auf diese Weise physisch-körperliche, mentale, geistige und sozial-emotionale Elemente erkennen. Physisch-körperlich, das sind Kraft-, Flexibilitäts- und Ausdauersportaktivitäten, die Ernährung und mein persönliches Stressmanagement. Mentale Unterstützung bringt mir das Lesen, Planen, Schreiben und Visualisieren. Geistigen Ausgleich schaffen mir meine Werteklarheit, geschöpft aus meinem christlichen Glauben und die Werteübereinkunft mit der Gesellschaft in der ich lebe, oder besser gesagt, den Gesellschaften, in denen ich mich bewege. Gut tun mir die Rituale, die ich pflege, z.B. ein regelmäßiger Tagesablauf, mit Pausen und einem gesetzten Feierabend, den ich mit meiner Familie verbringe oder das Leben in meiner Kirchengemeinde. Wichtig ist für mich auch das Gespräch mit anderen Menschen, das Gefühl immer wieder etwas Neues lernen zu können oder das Gebet, meine Jesus-Fürbitten. Sozial-emotional ist in erster Linie meine persönliche Sicherheit von Bedeutung, aber auch, dass ich mich in den Dienst stellen kann (ob bei einer Hilfsorganisation oder in meinem Beruf als Managementtrainer) und vor allen Dingen, dass ich die tolle Gelegenheit habe, viele Synergien zu schaffen.
Ich erkenne aber auch, was mein größter Gefahrenbereich ist: Ich will immer mehr! Das kann leicht zu Habgier und Wachstums- und Fortschrittswahn führen. Doch damit bin ich nicht allein. Ist nicht inzwischen unsere gesamte Gesellschaft auf diesem Weg, des Immer-mehr-Wollens, des Schneller, Höher, Weiter? Stellen wir uns nicht alle in die gleiche Reihe? Müsste unsere ganze Gesellschaft ans Entrümpeln gehen? Neue Freiräume schaffen, alles in Frage stellen und Platz machen. Platz schaffen für das Neue, das zu Erwartende, das was kommen will, aber nicht kommen kann. Noch bin ich nicht soweit, das abschließend beurteilen zu können, aber für mich habe ich doch schon gute Erkenntnisse und mehr Klarheit gewonnen.
Was kann ich nach einigen Stunden des Ordnung-Schaffens und des Bereinigens sagen? Auf was kommt es an? Das sind meine Antworten: Bodenständigkeit, Sicherheit und meine Familie. Ruhe, sportlicher Ausgleich und Musik. Bildung des Herzens, geistiges und moralisches Wachstum. Qualifizierte Wertmaßstäbe. Die Balance zwischen Arbeit und Freizeit. Humor, Gelassenheit und immer Lächeln – auch wenn man versehentlich das falsche Dokument zerrissen hat, wie ich gerade. Shit happens, always! Der Scanner richtet es schnell wieder.
In Bezug auf meine Persönlichkeit bin ich ganz gut aufgestellt, wie ich denke. In der Regel bin ich ein sehr höflicher und fleißiger Mensch, ich bin meistens pünktlich, außer wenn meine Frau gekocht, das dritte Mal nach mir gerufen hat und ich trotzdem (wahrscheinlich unnötigerweise) noch eine E-Mail öffnen und beantworten muss. Doch mit meiner Präsentations- und Redegewandtheit biege ich das meistens wieder hin. Meine Lernfähigkeit könnte ich noch weiter ausbauen, dann würde ich den Reststress des Mittagessenproblems mit meiner Frau weiter reduzieren oder sogar vollständig beseitigen. Diese Persönlichkeitsmerkmale, die ich habe, sind größtenteils dafür verantwortlich, dass und wie ich mein Leben in den Griff bekomme. Man mag es nicht glauben, aber von meinem Fachwissen hängt dagegen der geringste Teil ab.
Das Büro sieht wirklich gut aufgeräumt aus und auch in den Kartons hat sich einiges für die ebay-Auktionen meiner Frau angesammelt. Die Papierkörbe sind prall gefüllt und gelernt habe ich allerhand. Ich muss mir gegenüber ehrlich sein. Jeden Tag darf ich mein Bestes geben und mit Stolz auf das Geleistete und Erreichte zurück blicken. Der Anspannung muss die Entspannung folgen, wie auf den Tag die Nacht folgt und auf die geschäftige Hektik des Tages die schlaferfüllte Ruhe der Nacht. Anderen helfen ist genauso großartig wie sich dankbar helfen lassen. Ich darf in vollen Zügen genießen, gute Bücher lesen, gute Musik hören und gute Gespräche führen. Mein Umfeld stellt den Unterstand für mich dar, der mir Schutz an Regentagen gibt. Ich bin für dessen Aufbau verantwortlich. Ich darf jeden Tag dafür beten, geleitet zu werden. Ich achte auf den Segen, den ich täglich empfangen darf und dafür bin ich dankbar. Am Ende fällt mir noch ein – ab und zu entrümpeln und Platz für das Neue schaffen. Wenn ich das großartige Neue wäre, würde ich dann selbst gerne bei mir vorbeikommen? Ja klar, weil ich einen tollen, freien Platz für mich finden kann, einen Platz, an dem ich mich wohl und geborgen, willkommen und erwünscht fühle.
Dies ist ein Auszug aus dem Buch "Der ProjektManager und Fräulein Sophie", das bald in neuer Auflage erscheint.
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